Hartmut Danneck

 


Bernsteinherz

Band 3 der Keltensaga um Artun und Eflida

erscheint 2023 


Eflida und Artun werden zusammen mit ihrem Freund Philippos, dem jungen Griechen, an der Küste des Mittelmeers von Piraten entführt. Auf der Flucht aus der Sklaverei warten Abenteuer bei einem feuerspeienden Vulkan, im Labyrinth eines Königspalastes und bei einer Verfolgungsjagd über eine griechische Insel auf sie. Dabei stoßen sie auf eine junge Ägypterin, die an einen Königssohn verheiratet werden soll, auf machtgierige Hofbeamte, arme Fischer, eigenwillige Philosophen und die erste griechische Dichterin. Als sie dem finsteren Mulakbal in die Quere kommen, beginnt ein Kampf auf Leben und Tod ... 

Hintergrund ist die griechische Kultur im 6. Jahrhundert v. Chr. am Beginn ihrer großen Zeit, als es losging mit Wissenschaften, Demokratie und den Wunderwerken der Kunst.


Kapitel:


1    Unterwegs nach Süden 
2    Die Bilder der Nacht 
3    Am Tor zur Unterwelt 
4    Die Würfel fallen 
5    Im Labyrinth von Sardis 
6    Menet-Latifa, die Ägypterin 
7    Im Schutz der Dichterin 
8    Der Alte vom Berg 
9    Sonne, Steine und ein Hund 
10  Saddus Heimweh 
11  Das Fest der Hera 



Hineinlesen!

Der Romanbeginn in der Rohfassung: 


1   Unterwegs nach Süden  

Artun sah über die Bugspitze nach unten in das rauschende Wasser. Er drehte sich um. Über ihm stieg der Bug in einer geschwungenen Linie nach oben und endete in einem Schwanenkopf. Das Segel blähte sich im wolkenlosen Himmel. Das Schiff machte gute Fahrt. Sie waren nun schon weit weg von Massalia, der Griechenstadt am Südmeer, wo sie ihre Reise begonnen hatten. Hinter ihm dösten Eflida und Philippos in der Mittagshitze auf den Planken des Vorderschiffs.

Artun schmeckte das Salz auf den Lippen und spürte den warmen Wind auf der Haut.

Der Steuermann, ein älterer Mann mit zerknittertem Gesicht und flinken Augen, kam und setzte sich neben ihn. Er hatte den Mann am Ruder hinten im Schiff immer noch im Auge.

„Na, Junge, nun muss ich doch mal fragen: Ihr seid nicht von Massalia, hab ich recht?“ Artun kramte sein Griechisch zusammen und gab ihm Auskunft.

„Schau an, 16 Jahre, Zwillinge aus dem Keltenland, dachte mir schon so etwas. Du mit deinen hellbraunen Haaren und deine blonde Schwester mit den Sommersprossen. Aber der dort, der Schwarzkopf, ist einer von hier, stimmt‘s?“

Bald wusste er, dass Philippos der Sohn eines Priesters aus Massalia war, und dass alle drei mit den Bernsteinhändlern, die hinten unter Deck verschwunden waren, ins Etruskerland unterwegs waren. Mehr wollte Artun nicht verraten. Die Neugier des Alten kam ihm ohnehin schon merkwürdig vor. Vielleicht hatte er schon zu viel gesagt. Philippos‘ Eltern hatten ihren Sohn ungern mitfahren lassen und von unehrlichen Kapitänen und den Gefahren auf See geredet.

Der Alte erhob sich.

„Dann passt mal schön auf euch auf. Bernstein, hinter dem sind viele her. Gestern Abend hat man am Flusshafen von Piraten erzählt, die mal wieder zugeschlagen haben, nicht weit von hier.“

„Artun, hier kommt was!“

Artun drehte sich um und Philippos warf ihm etwas Kleines, Schwarzes zu. Artun fing die Olive geschickt auf. Er kannte inzwischen diese Früchte, die es im Keltenland nicht gab. Philippos hatte ihm erklärt, dass sie am Ölbaum wuchsen, dass man sie essen konnte oder auspressen, für das Olivenöl.

Artun schmeckte die Olive gut. Er spuckte den Stein knapp an Philippos vorbei. Der spuckte einen Stein zurück. Eflida warf die langen Haare aus dem Gesicht und lachte. Dann flocht sie ihre Haare in zwei Zöpfe. legte sie sorgfältig um den Kopf und steckte sie mit Haarnadeln fest.

Artun rollte sich wieder auf den Bauch und sah in die Wellen.

Seit sie letzte Woche in Massalia angekommen waren, musste Philippos erklären: Oliven, Weintrauben, Feigen, Schriftrollen. Immer noch gingen Artun die Eindrücke der letzten Tage durch den Kopf. In dieser Stadt wimmelte es von Menschen. Philippos hatte ihnen griechische Adlige und Handwerker, phönizische und etruskische Fernhändler, Sklaven aus Korsika und Afrika und dem Keltenland gezeigt. Artun hatte gestaunt über die Gassen mit Steinhäusern, manche sogar mit zwei Stockwerken, keine Holzhäuser mit Lehmwänden wie daheim. Sie waren auf weite Plätze gestoßen mit hoch aufragenden Tempeln, vor denen die Opferfeuer brannten und weißgekleidete Priester standen. Im Gewirr der Verkaufsgassen hatten Händler ihre Waren angeboten, dazwischen Garküchen, aus denen es nach unbekannten Gewürzen duftete, Laufbrunnen, Latrinen, im Hafen die bauchigen Handelsschiffe, Schnellsegler,  Ruderschiffe und kleine Fischerboote.

An einem Abend hatte Philippos Vater, der in Griechenland studiert hatte, von seinen Reisen nach Ägypten und ins  Zweistromland erzählt. Die großen Reiche dort im Ostens waren eine faszinierende Welt: Die Pharaonen in ihren Palästen, die Pyramiden, die Sphinx und in  Babylon der Turm der Götter, die Hängenden Gärten der Königin und die Ärzte,  Magier und Sterndeuter.

„Artun, was macht dein Sonnenbrand? Bei mir geht es jetzt wieder“, sagte Eflida. Artun knurrte etwas Undeutliches. Er konnte die Küstenlinie sehen, an der sie entlangsegelten. Weit hinter ihnen meinte er ein Schiff zu erkennen.

Vor fünf Wochen waren Eflida und Artun in ihrer keltischen Heimat aufgebrochen, in Isbona, dem kleinen Ort am Rande des rauen Abnobawaldes, an einem kühlen Tag. Gleich am zweiten Tag in der Griechenstadt hatten sie ihre groben Hosen und ihre verschwitzten Wollhemden gegen griechische Kleidung getauscht. Der leichte Chiton, das feine Gewand standen Eflida gut. Auch er hatte nun dasselbe an wie der Grieche Philippos, einen kurzen Chiton, ein großes Tuch, das er um sich gewickelt hatte, mit einer Nadel an der Schulter und einem Ledergürtel.

Artun verschob sein Messer, das er am Gürtel trug, um bequemer zu liegen. Hinter ihnen sah er in der Ferne ein Schiff. Er aß noch einige Oliven. Als er wieder aufs Meer blickte, war das Schiff näher gekommen. Es musste schneller als sie unterwegs sein. Gestern Abend hatte er im Hafen am großen Fluss ein solches Schiff gesehen.

Von Massalia waren sie an der Küste entlang ostwärts gefahren und hatten zuerst an Landeplätzen der Ligurer übernachtetet. Letzte Nacht hatten sie am großen Umschlagplatz der Massalianer Kaufleute verbracht, wo ein großer Fluss ins Meer mündete. Die Händler hatten einen Teil ihrer Bernsteine verkauft. Morgen konnten sie Pupluna erreichen, die Etruskerstadt bei der Insel Elba.  In zehn Tagen kamen sie dann in Akragas an, wenn der Wind günstig wehte.

Das Ruderschiff hatte sie nun eingeholt. Artun konnte die zwei Reihen der Ruderer erkennen, die zu ihnen herüberschauten. Das Schiff war schnittiger gebaut als ihr bauchiges Handelsschiff. Vorne ging der Bug in einen Pferdekopf aus, unter dem ein starker Sporn knapp über der Wasserfläche vorragte. Auch Eflida und Philippos blickten hinüber.

Ein Kriegsschiff. Vorne mit dem Sporn, dem Rammbalken. Kann sich in das feindliche Schiff einbohren“, sagte Philippos.

Das Ruderschiff zog vorüber. Eflida verteilte Weintrauben, eine gute Erfrischung an diesem heißen  Tag.

Was ist das für ein Schiff?“, fragte sie. „Können das Piraten sein?“

Philippos grinste.

Nicht auf jedem Ruderschiff lauern die Räuber. Irgendeine Griechenstadt liegt immer in Streit mit einer anderen, mit den Etruskern, den Phöniziern. Kann auch ein Kurierschiff sein oder wichtige Leute, die es eilig haben.“

Als Artun nochmals Ausschau hielt, war der Ruderer schon nicht mehr zu sehen.

So fuhr man dahin. Die lähmende Mittagshitze verging, die Sonne neigte sich langsam im Westen. Artun war überwältigt vom Glitzern ihrer Strahlen auf der weiten, blauen Fläche. Es war ein schöner Tag.

Das Schiff nahm allmählich Kurs auf die Küstenlinie zu, und Artun hatte bald ein zweites Wunder vor Augen. Endlos zog sich der helle Sand von Nord nach Süd, an dem die kleinen Wellen ausliefen. Hinter dem Sand zog sich ein Wald am Meer entlang, ein dunkelgrünes Band.

Pinienwald, Nadelbäume. Ähnlich wie eure Fichten. Nein, doch ganz anders“, sagte Philippos. Die Bäume standen dicht, an manchen Stellen aber auch einzeln und mit Abstand. Beim Näherkommen sah er die Stämme, die manchmal wie menschliche Leiber emporragten, die Arme streckten und darüber die dunkelgrünen, fast schwarzen kugeligen oder flachen Kronen trugen.

Auch Eflida stand an der Bordwand und staunte. Das Schiff fuhr knirschend in den Sand einer  Bucht, und die Besatzung hatte zu tun. Artun schnappte seinen Reisesack und schwang sich über Bord, und zusammen mit den beiden anderen stand er bald im Schatten der Pinien und konnte sich am Anblick der sinkenden Sonne und des spiegelnden Meeres nicht sattsehen.

Es gab hier keine Siedlung. Ein flacher, bewaldeter Hügel erhob sich rechts von der Bucht, und ein schmaler Wasserlauf mündete hier ins Meer. Alte Feuerstellen, gestapeltes Holz und ein halb im Sand steckendes Wrack eines Bootes verrieten, dass der Platz von Händlern als Lagerstätte genutzt wurde.

Artun, Eflida und Philippos bereiteten ihr Dankopfer vor, das sie seit ihrem Aufbruch in Massalia jeden Abend nach der glücklichen Rückkehr vom Meer darbrachten. Eflida holte aus ihrem Reisesack einige der getrockneten Rosenblätter, die sie von Philippos‘ Mutter bekommen hatte. Dann standen sie am Meer, da, wo die letzten Wellen ausliefen, wo der Sand feucht und fest war. Eflida hob die Arme gegen Westen und grüßte die Sonne. Sie rief die Abnoba an, die Schutzgöttin Isbonas, und bat sie um eine sichere Heimkehr nach ihrer Reise. Philippos dankte dem Hermes, dem Gott der Reisenden und Thalassa, der Meeresgöttin. Eflida streute die Rosenblätter ins Meer.

Dann aßen sie mit den Seeleuten am Feuer. Kleine Fleischstückchen brieten über der Glut. Gerstenschrot rührte man mit klarem Wasser aus dem Bach an und würzte es mit Salz. Zum Nachtisch gab es Oliven und Käse. Die Besatzung trank verdünnten Wein aus Tonkrügen. Artun und Eflida schmeckte der Wein nicht besonders, er kam ihnen sauer vor, und so tranken sie auch heute keinen. Philippos neckte sie wie immer:

Die Kelten sind beim Wein vorsichtige Leute. Sonst ja nicht. Die machen ein Getränk aus Gerste, die lassen sie in Wasser faulen.“ Die Ruderer lachten.

Eflida klatschte Philippos lachend auf den Arm und wandte sich an die Zuhörer.

Der Grieche da hat ja schon viel gehört vom Keltenland. Der glaubt, dass es bei uns so kalt ist, dass im Winter die Vögel an den Zweigen festfrieren, nicht, Philippos?“

Ja, und der Rauch friert im Kamin fest“, lachte Philippos.

Das könnte sein, wenn wir ein Kamin hätten. Du meinst sicher auch, dass die Bären im Winter ankommen und um ein warmes Plätzchen am Feuer betteln. Und im Wald liegt so viel Schnee, dass man beim Wandern über die Baumspitzen stolpert, nicht?“

Die Ruderer zwinkerten sich zu. Eflida imponierte ihnen.


Die Sonne berührte den glatten Meeresspiegel, als Artun, Eflida, Philippos und einer der Bernsteinhändler, Lersu, ein junger Mann, am Strand entlang schlenderten. Artun genoss es, mit den nackten Füßen durch das flache Wasser zu gehen. In Isbona wäre es abends schon kühl geworden, aber hier strahlte der Sand die Wärme des Tages aus. Manchmal lag der würzige Duft der Pinien in der Luft.

Philippos war in ausgelassener Stimmung. Er neckte Eflida, die ihm die Zunge herausstreckte und schließlich steckte er ihr von hinten Piniennadeln in den Rückenausschnitt.

Du Spinner!“ Er schlich sich lächelnd wieder an.  „Mach die Biege!“ Sie sprang auf, wehrte sich mit Schlägen und er ließ sich von ihr jagen.

Nach einiger Zeit fanden sie in einer kleinen Bucht unter zwei Pinien ein etwas erhöhtes Plätzchen, über ihnen der Schirm der Baumkronen und vor ihnen das weite Meer mit den rötlich schimmernden Abendwolken.

Sie alberten herum, plauderten und manchmal waren alle still und hingen ihren Gedanken nach. Artun fühlte sich so wohl wie lange nicht. Dazu brauchte es keine Worte.

Lersu reichte kleine honigsüße Fladenbrötchen herum. Artun fragte ihn nach seiner Heimatstadt und seinen Reisen.

Ich komme aus Vatluna. Ist nicht weit von Pupluna am Meer.“

Eflida hob verwundert den Kopf.

Pupluna? Das ist ja ein Zufall. Da waren unsere Eltern jahrelang.“

Lersu staunte: „Eure Eltern? Kelten?“

Sie waren dem Herrn in unserer Heimat in die Quere gekommen und er hatte dafür gesorgt, dass sie gehen mussten. Schlimme Geschichte.“

Eflida verstummte und sah aufs Meer hinaus. Artun merkte, dass Lersu aus Rücksicht nicht weiter fragte. Aber Eflida fing wieder an.

Jedenfalls landeten sie als Sklaven auf einem Hof bei Pupluna. Sie schafften es nach Jahren zurück ins Keltenland.“

Das klingt wie ein Wunder“, meinte Lersu.

Ja, so kann man es sagen.“ Eflida sah Artun an und lächelte.

Sie knabberten am Gebäck.

Lersu, du wolltest doch erzählen. Wie geht das mit dem Bernstein?“, sagte Artun.

Ich habe das von meinem Onkel gelernt. Wir kaufen meistens im Keltenland die Steine. Dann geht es nach Massalia und von da weiter ins Etruskerland. Oder andere Fernhändler übernehmen die Ware. Die fahren dann bis nach Afrika oder zu den Phöniziern weit im Osten. Auch in den Königsgräbern in Ägypten schmückt man die Pharaonen mit dem Bernstein. Andere Händler, Kelten und Leute aus dem hohen Norden, holen die Ware vom Nordmeer. von den Bernsteininseln. Ich war nie dort, es soll da kalt und neblig sein. Andere glauben, dass dort ein wunderbares Land liege, ohne Kriege und Leiden, in ewigem Frühling. Die Menschen leben dort nahe bei den Göttern, glücklich und ohne Sorgen vor Alter und Krankheit. Tag und Nacht seien ein halbes Jahr lang.“

Philippos nickte.

Man sagt, dort wachse auch ein Wunderbaum mit goldenen Äpfeln, bewacht von Mädchen, den Hesperiden. Der Baum sei zur Heirat von Hera mit Zeus gepflanzt worden sei. Die Äpfel würden den Göttern ewige Jugend verleihen.“

Ja, das habe ich auch oft gehört“, meinte Lersu. „Und von dort sollen auch die Bernsteine herkommen. Da werden sie morgens am Strand gefunden. Manche Sänger erzählen eine Geschichte, von Griechengöttern und dem Bernstein. Der junge Phaeton hat den Sonnenwagen des Helios nachts entführt und ist auf eigene Faust in den Himmel losgefahren. Die Pferde gingen ihm durch, der Wagen kam der Erde nahe und erst ein Blitz des Zeus stoppte die Fahrt. Phaeton stürzte ab, am Eridanos weit im Norden. Seine Schwestern trauerten um ihn, wollten nicht mehr leben und Zeus verwandelte sie aus Mitleid in Pappeln. Aber sie weinten weiter, und ihre Tränen wurden zu Bernsteintropfen. Man nennt den Bernstein auch Tränen der Götter.“

Philippos nickte: „Auch Homer erzählt davon in seiner Geschichte von Odysseus.“

Eflida nahm ihr Halsband ab und zeigte den Bernstein, der daran hing. Es war ein Herz mit fein geschliffenem Rand an einer goldenen Öse. Der Stein  leuchtete goldgelb, in seinem Innern schienen braungoldene Linien zu schwingen.

„Auch bei uns im Keltenland ist der Bernstein etwas ganz Besonderes. Meine Lehrerin, die alte Svelta, sagt, dass er böse Kräfte abwehrt und den Menschen stärkt, wenn man ihn am Körper trägt. Den hier hat unser Schmied in Isbona eingefasst.“

Lersu betrachtete den Stein.

„Ist ein sehr schönes Stück. Wusste gar nicht, dass ein Kelte das so hinbekommt.“

Er zerkrümelte ein Blatt einer Stranddistel in seiner Hand, rieb den Stein an seinem Hemd und hielt ihn dann an die Krümel, die sofort, wie von einer geheimnisvollen Kraft gezogen, sich an den Stein hefteten.

„Kann nur der Bernstein. Das haben griechische Wissenschaftler erforscht, die nennen ihn Elektron. Ein Grieche hat mir von Thales von Milet erzählt. Der lehrt, dass Bernstein Krankheiten und üble Kräfte aus dem Körper zieht, wenn man einen Bernstein trägt. Dein Herz zieht ganz stark, das sieht man hier, das hat eine große Kraft. Da brauche ich die anderen Proben gar nicht.“

„Wie sehen die aus?“, fragte Philippos.

„Im Salzwasser schwimmt er, und wenn du eine glühende Nadel daranhältst, riecht es harzig. Ist kein toter Stein. Hat fast etwas Lebendiges, Bernstein ist fest, aber nicht hart.“

Er wandte sich an Eflida: „Wenn du ihn verkaufen willst – ich mache dir einen guten Preis. Der würde auch am Hals einer edlen Dame gut aussehen.“

Eflida sah ihn stumm an und schüttelte lächelnd den Kopf. Dann streifte sie sich das Band wieder über den Kopf.

Lersu fragte Philippos: „Du willst also zu diesem Libon nach Akragas auf Sizilien. Wie kommst du denn darauf?“

„Er war letztes Jahr in Massalia und hatte bei uns gewohnt. Mein Vater kennt ihn. Ist ein berühmter Baumeister und Techniker, plant neue Riesentempel, ist ein Bronzegießer und experimentiert mit neuen Hebewerkzeugen. Er hat vor, als erster Grieche einen ägyptischen Obelisk aufzurichten. Ganz ehrlich: Er begeisterte mich. Ich will bei ihm lernen. Ich muss da hin!“

Und warum kommt ihr beiden Kelten mit?“

Wir dürfen unseren Kleinen doch nicht allein in die Fremd lassen, stimmt‘s , Philippos?“, grinste Eflida. Philippos bohrte ihr einen Finger in den Arm.

Mein Vater wollte mit, wurde aber krank. Die beiden wollten eigentlich nach Isbona zurückreisen, aber dann ...“

Artun fuhr fort: „Dann wollten wir ihm helfen, das war Ehrensache. Und ganz ehrlich: Es ist auch die Abenteuerlust. In Massalia haben sie uns eine Menge erzählt von den Wundern rund ums Meer. Da sind wir schon neugierig geworden.“

Hoffentlich endet es nicht wie bei Odysseus, der irrte zehn Jahre hier herum und fand nicht heim“, grinste Lersu und alle lachten.

Haben wir nicht vor“, meinte Eflida. „Einem Händler haben wir eine Botschaft für die Eltern in Isbona mitgegeben. In zwei  Wochen fahren wir mit einem massalianischen Schiff zurück. Der Kapitän kennt Philippos Vater.  Unsere  Eltern werden  sicherlich Verständnis für die Reise haben, sie wissen, wie eng wir drei befreundet sind. Dass wir ihn nicht hängen lassen können.“

Philippos strahlte sie mit seinen dunklen Augen an.


So verging die Zeit. Da hörte man plötzlich von ferne gedämpften Lärm. Waren das Rufe? Sie horchten angestrengt, und jetzt war es klar: Aus Richtung des Landeplatzes kamen Schreie! Sie sprangen auf, eilten um die Biegung der Bucht herum und stürzten am Strand entlang. Keuchend kamen sie am Landeplatz an. Weit vorne am Strand sahen sie ein zweites Schiff, einen Ruderer. Was hatte das zu bedeuten? Artun war verwirrt, wie betäubt.

An der Lagerstätte bei ihrem Schiff gingen Männer aufeinander los, man schrie wild durcheinander. Die fünf Mann  ihres Schiffs standen gegen mindestens 20 Angreifer. Artun sah den Kapitän, wie er sich mit vorgestrecktem Dolch verteidigte. An einer anderen Stelle umzingelten weitere  Angreifer die drei Händler. Es war ein ungleicher Kampf.

Das mussten Piraten sein, schoss es Artun durch den Kopf. Er stürmte auf die Angreifer zu, ohne lange nachzudenken. Aber da schrie der Kapitän etwas und die Besatzung floh zwischen den Pinien hindurch und verschwand hinter einem Gewirr von Brombeerbüschen. Die Angreifer verfolgten sie nicht. Ein Mann mit einem kurzen Hiebschwert in der Hand rief: „Lasst sie laufen! Wir brauchen sie nicht!“ Dann sah er Artun und rief seinen Leuten zu: „Da kommt der Nachwuchs.“

Artun ergriff im Vorbeilaufen einen starken Ast, der am Lagerfeuer lag.

Eflida, Philippos, hierher!“, schrie Artun. „Im Kreis!“ Die beiden verstanden. Sie stellten sich  mit den Rücken zueinander, in kampfbereiter Haltung, die Äste erhoben. Artun wich das Blut aus dem Gesicht, er zitterte. Ihre Lage war aussichtslos. Aber ihn empörte der feige Angriff aus dem Hinterhalt und der Hochmut des Anführers.

Lass den Ast fallen!“, rief ein Mann. Drüben packte man die drei Bernsteinhändler.

Kommt her und holt euch den Ast!“, schrie Artun.

Artun, zwecklos. Da kommen wir nicht raus“, sagte Philippos halblaut. Da näherte sich langsam ein untersetzter Mann. Er senkte einen kurzen Spieß.

Junge, lass es sein!“  Seine Genossen riefen ihm etwas zu, was Artun nicht verstand. Artun war wütend. Er zielte auf den Spieß, schlug zu, traf aber den Arm des Mannes. Der Spieß fiel. Der Mann blitzte ihn zornig an, und fasste sich an den Arm. Wütendes Geschrei erhob sich. Der Anführer redete auf seine Leute ein.

Mit Schrecken sah Artun, dass ein Mann grinsend einen Pfeil auf seinen starken Bogen legte. Ein anderer zog seinen Dolch aus dem Gürtel.

Der Anführer rief etwas. Dann ging alles ganz schnell.

Vorsicht, links, Peitschen!“, schrie Eflida. Es zischte in der Luft, und dann spürte Artun einen Schlag auf seinem Schenkel, als ob ein Feuerbrand in die Haut eindringen würde. Eflida schrie auf, Philippos stürzte. Ein zweiter Schlag traf Artun und diesmal wickelte sich der Peitschenriemen um sein Bein und auch er fiel zu Boden.

Sie mussten sich auf den Boden setzen, dann fesselte man sie an den Füßen. Der Anführer kam herbei.

Das war nicht klug von euch. Hätte böse ausgehen können. Tollkühn, dieser Auftritt. Wer seid ihr, woher und wohin? Und keine Mätzchen!“

Philippos übernahm es zu antworten. Er deutete auf Artun und Eflida.

Zwei vornehme Kelten, werden einmal Seher und Magier sein. Kinder eines Fürsten.“

Artun horchte auf. Fürstenkinder? Das stimmte doch nicht. Was hatte Philippos vor?

Kelten? Das sind doch diese Barbaren im hohen Norden. Na, so sehen sie aus. Und du?“

Ich bin in drei Jahren Wissenschaftler. Bin Sohn eines Apollonpriesters.“

Apollonpriester?“ Der Mann kniff die Augen zusammen und sah Philippos scharf an.

Dann kennst du Python.“

Philippos lächelte ihn überlegen an.

Der Drache. Apollon war vier Tage alt, als er ihn tötete, aus Rache für die Verfolgung seiner Mutter.  Ist in Delphi begraben in Delphi unter dem Opferstein Omphalos, dem Nabel der Welt, im Tempel. Zufrieden?“

Nicht schlecht. Ich sehe, dass ihr keine Durchschnittsbeute seid. Und woher kommst du?“

Massalia.“

Der Mann hob die Augenbraue

Ah, dann bist du Grieche wie wir. Eine mächtige Stadt. Mit Lösegeld ist es nichts. Ist auch zu weit weg. Na, wir werden schon Käufer finden für solche wertvolle Ware.“

Philippos gab Artun mit einem fast unmerklichen  Augenzwinkern ein Zeichen. Artun verstand ihn nun.  Es hatte geklappt, den Piraten ihren Wert zu zeigen. Vielleicht gingen sie dann schonender mit ihnen um.


Die Männer gingen nun hinüber zu den Händlern. Man holte ihre Reisesäcke herbei und durchwühlte sie.

Eflida schob sich langsam hinter Artun und Philippos. „Macht euch breit und dreht euch nicht um!“, flüsterte sie. Artun nahm aus den Augenwinkeln schnelle Bewegungen wahr.

So, das war‘s“, sagte Eflida. Artun schaute fragend.

Das Bernsteinherz. Im Haar versteckt.“

Artun dreht sich um und musterte sie. Das Schmuckstück an der dünnen Schnur um ihren Hals fehlte. Ihr blondes Haar sah aus wie vorher, fest geflochten, in einem Kranz um ihren Kopf gelegt und hinten verknotet.

Sieht man etwas?“, fragte sie.

Nein.“ Philippos wiegte den Kopf.

Riskant. Wenn dich einer beobachtet hätte?“

Hätte, hätte, Perlenkette“, meinte Eflida. Dann rückte sie näher zu Philippos.

Das Herz ist von meiner Mutter. Hat sie mir zum Abschied vor der Reise gegeben, mit ihrem Segen. Mein Glücksbringer. Nichts für die dreckigen Hände dieser Leute.“

Drüben brach Jubel aus. Der Anführer hob einen Halsschmuck empor, ein anderer, ein Blonder, schwenkte einen Lederbeutel und ließ offenbar Münzen klingeln.

Diese Fahrt hat sich gelohnt!“

Die Etrusker sahen stumm und mit finsteren Blicken zu, Lersu murmelte etwas und spuckte aus.


Die Piraten schleppten Eflida, Philippos und Artun zu den Händlern. Ein Mann setzte sich in der Nähe an eine Pinie und behielt sie im Auge. Die anderen zündeten ein Feuer an und brieten Fleisch.

Die Männer schienen sich hier auszukennen. Man holte Wasser in Lederschläuchen von  einer Quelle, die wahrscheinlich irgendwo hinter dem Pinienwald entsprang, da, wo die ersten Hügel anstiegen.

Ich hatte das Schiff heute Morgen am Flusshafen schon gesehen“, meinte Lersu halblaut. „Auch der eine, der mit den hellen, struppigen Haaren, der schlich bei unserem Schiff herum. Fiel mir nicht besonders auf, aber jetzt ist das klar.“

Philippos nickte.

Vielleicht haben sie uns da ausgekundschaftet. Brauchen euch nur bei einem Handelsgeschäft beobachtet haben. Dann verfolgten sie uns. Das war das Ruderschiff, das uns hinterherfuhr und dann überholte.“

Es sind also Griechen. Seit vielen Jahren kämpfen sie gegen die Etrusker, wollen Städte gründen, Handel treiben und unseren Handel schädigen“, erwiderte einer der Händler.

Stimmt aber auch umgekehrt. Die Etrusker sind nicht nur die armen Opfer, die können auch zuschlagen. Auch als Piraten“, sagte Philippos.

Der Etrusker hob vielsagend die Arme.

Langsam sank die Dämmerung. Die Piraten wollten aber anscheinend nicht hier übernachten. Das war ihnen wahrscheinlich zu gefährlich, vielleicht war doch eine Siedlung in der Nähe. Sie verstauten ihre Beute im Schiff und führten auch die Gefangenen an Bord.

Bald ging es in schneller Fahrt an der Küste entlang.  Es war schon tiefe Nacht, der Mond schien, als das Schiff einen Landeplatz ansteuerte. Man führte sie unter Pinien und legte ihnen wieder die Fesseln an. Bald legten sich auch die Piraten hin.

Artun war todmüde, aber die Gedanken kreisten.

Aus dem Traum war ein Alptraum geworden. Vor fünf Wochen noch in Isbona, und nun in der Hand von Seeräubern. Er dachte an die Eltern, die nun vergeblich auf sie warten würden. War es doch tollkühn und verantwortungslos gewesen, auf die riskante Fahrt nach Akragas zu gehen?

Der einzige Trost war, dass er sich blind auf Eflida und Philippos verlassen konnte.