Hartmut Danneck

 

Ekkehard Hausen/Hartmut Danneck: "Antifaschist, verzage nicht...!". Widerstand und Verfolgung in Schwenningen und Villingen 1933-1945 (Veröffentlichungen aus Archiv und Chronik der Stadt Villingen-Schwenningen), Neckar-Verlag 1990

vergriffen, in der Stadtbiliothek Villingen-Schwenningen ausleihbar






Aus dem Vorwort: 

"Bei uns gab's das nicht. In Berlin vielleicht oder Stuttgart, aber bei uns bestimmt nicht ...", so oder ähnlich die spontane Reaktion vieler, die wir zum Thema Widerstand in Villingen und Schwenningen befragten. Ob es auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft oppositionelle Handlungen  gegeben hat, das wollten wir mit einer Arbeitsgruppe herausfinden, die sich im Sommer 1986 am Gymnasium am Hoptbühl für eine Projektwoche gebildet hatte. Zusammen mit Schülern gingen wir auf geschichtliche Spurensuche vor Ort. ... Nicht Verklärung von Helden war das Ziel, auch keine Anprangerung der Verfolger, sondern das Dokumentieren von -  auch widersprüchlichen, gebrochenen - Lebensläufen zwischen Anpassung und Auflehnung in der dunklen Zeit der Diktatur. Die vorliegende Untersuchung, die in den Jahren nach Abschluss der Arbeit mit den Schülern entstand, versteht sich als kleiner Beitrag beim Aufspüren der oft verschütteten fortschrittlichen, obrigkeitskritischen und demokratischen Traditionslinie der deutschen Geschichte. 

Der große zeitliche Abstand, der Tod vieler Beteiligter und die Erinnerungslücken der noch Lebenden erschwerten das Zusammentragen von Informationen. Die Befragungen von Zeitzeugen waren unverzichtbar, ergaben aber naturgemäß nur ein subjektives Bild  der Dinge, das nicht frei ist von nachträglichen Einflüssen. Was die schriftlichen Quellen anlangt, so fanden bei weitem nicht alle oppositionellen Aktivitäten ihren Niederschlag in Akten oder anderer schriftlicher Form. Die gerichtlich erfassten Delikte bilden vermutlich nur die Spitze des Eisbergs. Insofern kann die Arbeit keineswegs ein vollständiges oder 'objektives' Bild bieten. Wir versuchten, das von uns noch Erfahrbare  festzuhalten und zu einem, wenn auch lückenhaften Mosaik zusammenzusetzen."


Ein Beispiel: 

"Für den Villinger Bereich wurde ein Schmugglerring wichtig, der schon ab 1933 bestand und von dem Stuttgarter Willi Bohn geleitet wurde. Ziel der Bemühungen dieser "Transportkolonne Otto" war es, antifaschistische Aufklärungsschriften, Zeitungen etc. ins Reichsgebiet zu transportieren. 

Der Villinger K. K. (geboren 1910) spielte bei diesen Kontakten in die Schweiz eine wichtige Rolle. Nach Jahren auf der Wanderschaft 1930 bis 1931 war er als Werkzeugmacher bei der SABA beschäftigt, parteipolitisch in den frühen 30er Jahren noch nicht engagiert, aber schon seit den 20er Jahren antimilitaristisch eingestellt. Er orientierte sich an den völkerverbindenden Ideen der Esperantobewegung, der Deutschen Friedensgesellschaft und den politisch-wirtschaftlichen Reformvorstellungen Silvio Gesells. All dies führte ihn in die Opposition zum NS-Staat. 

"Ich habe die Nazis nie gemocht, mit ihren Plakaten und Uniformen. Ich war immer auch ein Antimilitarist. Die Nazis, die man gekannt hat, die waren mehr oder weniger zweifelhafte Existenzen, die plötzlich in ihren Stiefeln und braunen Uniformen herumgerannt sind."

Den Arbeiteresperantoverein zerschlugen die neuen Herren gleich 1933. Esperanto galt ihnen als "jüdische Weltsprache". K. erinnert sich: 

"Bei allen Esperantisten haben sie Haussuchung gemacht. Da ist eine Gruppe gestanden am Eck, in Uniform, die ist mir schon aufgefallen. Der S. F., der war in unserer Esperantogruppe, der ist hinten herum übers Dächle geklettert und rief mir zu. 'Sie wollen bei uns allen Haussuchung machen!' Ich hab alles versteckt, Lehrbücher und andere Bücher. Dann sind sie plötzlich ins Haus gekommen."

K.s Schwester und eine mit ihm befreundete, sozialdemokratisch eingestellte Medizinstudentin lebten in Zürich. Diese persönlichen Beziehungen verband K. nun mit politischer Aktivität. Er führte regelmäßig Kurierfahrten und Materialtransporte nach Zürich und unabhängig hiervon auch nach Singen durch. Die geschah auf verschiedenen Wegen: 

- K. übernahm in Singen Material von den dortigen Helfern. 

- Er beförderte Schriften z. T. am Körper versteckt, aus der Schweiz mit der Bahn nach Villingen.

- Er fuhr mit dem Fahrrad nach Zürich und brachte auf der Rückfahrt Publikationen mit.


"Man hat ein Gefühl von der Wichtigkeit der Sache schon gehabt, und man hat auch Angst gehabt. Wenn es eine größere Sache war und ich in Singen wieder in den Zug gestiegen bin, hat man das auf einen Gepäckträger gelegt, in eine Ecke hinein, nicht dort, wo man direkt gesessen ist, und hat sehr aufgepasst und hat es erst in Villingen schnell herausgeholt. Oder man hat es unter die Bank gelegt. Man hat wohl gewusst, wenn du da erwischt wirst, dann kommst du ins KZ. Man wusste von Dachau, Ankenbuck und Struthof." 

Bei sich zu Hause versteckte K. die Schriften z. B. auf der Heubühne und in einem Mauerloch unter der Fensterbank. Die Materialien wurden dann von K. selbst oder von Mittelsmännern u. a. nach Stockach und Schramberg weitertransportiert. K. schildert die Materialübergabe an einen Schramberger Wirt.

"Er ist nach Villingen gekommen, das hatte ein anderer vermittelt, am Bahnhof oder wo, und ich hatte eine Zeitung unter dem Arm, und er hat mich angesprochen und hat mir ein Zettelchen gezeigt, das war abgerissen und ich hatte das andere dazu passende Teil gehabt. Wo er hingehört, habe ich auch nicht gewusst. Er ist mehrmals gekommen."

Nach Übergabe des Päckchens (Schriften meist auf Dünndruckpapier) "ist man gelaufen und hat ein bisschen geredet und jeder hat halt seine Meinung vertreten, hat aber nicht gesagt, wo er hingehört, wo er wohnt, das war ja gefährlich, wenn er geschnappt worden wäre, hätte er gleich gesagt, der wohnt ja in der ...gasse."

Diese Fahrten unternahm K. zwischen 1934 und 1939. K., im Kriege als Werkzeugmacher "unabkömmlich" gestellt, blieb bis zum Ende der Diktatur seinen Ideen treu. Kurz vor Kriegsende, Ende 1944 oder Anfang 1945, sägte er die Hitler-Eiche am Amtsgericht, Symbol der Terrorherrschaft, so an, dass sie umfallen oder verdorren sollte. Welches Risiko damit verbunden war, zeigt folgende Zeitungsmeldung: 

"Bad Dürrheim. Hitler-Linde zerstört. In der Nacht zum Montag wurde die seit kurzem gepflanzte Hitlerlinde von frecher Bubenhand zerstört und abgerissen. Als Täter wurde ein 60 Jahre alter verheirateter Schlosser Clemens K. ermittelt, der nach anfänglichem Leugnen ein volles Geständnis ablegte. Er wurde in das Villinger Amtsgefängnis überführt und sieht einer scharfen Aburteilung entgegen."

K. spielte bei Kriegsende noch einmal eine wichtige Rolle in einer antifaschistischen Oppositionsgruppe (s. u.)."


Buchbesprechungen: 

 "Mit diesem Buch haben Danneck und Hausen ein Kapitel heimischer Geschichte aufgearbeitet, das für folgende Generationen erhalten bleiben muss."   Südkurier, 07.09.1990

"Das Buch schildert Lebensläufe  von 'Menschen wie du und ich'. Sie  hätten nicht selten zwischen Anpassung und Widerstand geschwankt. Der Begriff 'Widerstand' sei weit gefasst worden, sagte Danneck, schließlich reichte damals schon das Nichtsingen von Liedern oder das Nichthissen der Hakenkreuzfahne aus, um in die Mühlen der Nazi-Justiz zu geraten. ... Journalist Jacob Moneta lobte das Buch als eine 'spannende, wichtige und lehrreiche Lektüre'". 

Badische Zeitung, 03.09.1990