Hartmut Danneck

 

 

Manfred Laible – der Villinger Stadtflaneur 


Manfred Laible frönt der Leidenschaft des Flanierens, also des weitgehend ziellosen Umherschlenderns, Promenierens oder gar, für Freunde älterer Sprache, Lustwandelns. Diese Mußestunden kann er ohne Probleme mit einer zweiten Leidenschaft verbinden. Er war begehrter Trauerredner und, seit zwei Jahren im Ruhestand, bestreitet immer noch zwei bis drei Bestattungen pro Woche. Seine Frau weiß, dass er das braucht.  

Was wenige ahnen: Laible nutzt sein Flanieren auch, um aktuelle Eindrücke vom Leben und Treiben des Städtles zu gewinnen oder sich in Bummelpausen in anregende Fachlektüre zu vertiefen. Und so sieht man ihn durch Villingen streifen, auf Bänkle sitzen, einen Kaffee im Riet oder sonstwo genießen oder einige Worte mit alten Bekannten wechseln. 

Gelernt hat er das Flanieren nicht in Schieberdingen-Watterdingen, wo er prägende Jugendjahre verbrachte, sondern auf Reisen nach Paris, Florenz und Wien. 

Geboren in Konstanz, versucht er nunmehr schon seit 40 Jahren zum echten Villinger zu werden, vergebens. Allein schon sprachlich wird er von Urvillingern sofort als Hergeloffener identifiziert. Doch er übt sich in Gelassenheit und begnügt sich mit dem Lob des Städtles aus der Sicht des Beobachters. Klar, dass während des ereignisarmen Herumschlenderns auch mancherlei Gedanken durch sein Gemüt ziehen, humorvolle, launige und widerborstige. 


 Laible im Münster  


Im Münster sitzt man gut. Nicht so laut wie im Riet-Café. Und billiger. Bloß: Die Maria am Hochaltar guckt mich immer so streng an. Mit Recht. Schon jahrelang nicht mehr beim Beichte gewesen. Man könnt meinen, sie weiß es.  Manche glauben des. Die haben sich entschieden, glauben zu wollen. Glaube ist Wille. Ganz radikal. Ich glaube einfach nicht so ganz, dass ich wollen könnt. Aber ich will auch nicht den Glauben nicht wollen. Das wär mir auch wieder zu fanatisch. Ich denk lieber, dass die Maria mich nicht so genau sieht. Nur so halb. Des reicht ihr. Dann weiß sie genug. Dann kann ich nur noch hoffe, dass sie ein großes Herz hat. Maria, Königin der Herzen. Das hat man nicht einfach so erfunde. Vielleicht guckt sie aber auch des alte Mütterle an, des da drüben kniet. Dann hätt ich Glück ghabt.  
Wenn dich da einer im Münster sieht, hast du immer gute Karte. Entweder er hält dich für fromm. 11 Uhr vormittags, Laible sitzt im Münster, einwandfrei, ein guter Christ. Ganz seltenes Exemplar. Oder er hält dich für en Kunstkenner. Das kannsch leicht noch deutlicher zeige. Kannsch ja im Zweifel an so en Tafelbild nahstande und die Pinselstrich aluege. Musischer Mensch. Oder er meint, du seisch en ganz coole Hipster im Retro-Modus. „Urban Worshipping“, voll abgespacet (grinst).  

So, jetzt aber in die Nägelinskapelle. Vorsicht, Kopf nicht anschlage. Jetzt geht da ein Licht an, irgendwo hond se e Lichtschranke einbaut, wahrscheinds Versicherung und so. Aber des isch Sabotage. Die ganze Stimmung isch futsch. Da drin isch es unheimlich, und so will man das. Wie eine Grotte. E paar Lichtle flackere do. Und oben hängt des Kreuz. Schauerlich, noch unheimlicher als sonst. Schmerzensmann. Des Blut läuft runter. Aus seinem Kopf strahlts, loderts richtig. Do frierts mich. Des isch wie beim Zahnarzt, wenn er de Nerv trifft. Hier natürlich geistig. Das brauch ich. Gelegentlich. Selten.  So, jetz wieder raus aus de Kapelle. 

Da liegt des Buch. Da könnet die Gläubigen ihre Bitten und ihren Dank eintrage. „Bitte hilf ihnen, dass sie sich nicht trennen müssen“, „Danke, dass du Opa bei der Operation beschützt hast“. Was der liebe Gott alles richte muss. Er ist gefordert als Psychiater, Arzt, Lehrer, Kindermädle, Eventmanager, Bappe, Mamme und was sonst noch elles. Er braucht heutzutag sowieso e dickes Fell. Da kannsch du ihm nur Kraft und viel Erfolg wünsche.  Seine Amtsträger auf Erden verlässt manchmal die Karft. Da haben zwei Bischöfe die Amtskreuze abglegt, damit sie in der Moschee beim Dialog kein Anstoß erregen. Was dadezu der Luther oder de Abraham a Sancta Clara gesagt het? „Ein Karren voller Narren“, so heißt e Predigt vom Abraham. Barocke Kraft, derb, dramatisch. Ich lese so was gern, für en Trauerredner immer anregend.




Laible an Fluss und Wiese 


So, mal vom Ketterer an de Brigach entlang. Die isch gut versteckt. Läuft nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. S‘Städtle kehrt dem Flüssle irgendwie de Rücke zu. Warum eigentlich? Isch des ein Stiefkind? Wahrscheinlich zu breit für ein romantisches Bächle und zu wenig für Bootle. Keine rechte Verwendung. Gut, dass sie des in den 70er Jahre wenigstens nicht eingedohlt haben wie de Necker. Wenn do einer gsagt hätt: „Was braucht‘s des? Es goht auch ohne“, dann hätte mir in de 2000 Jahre Millione investiere müsse für die Freilegung.  

Auch hier wieder: Die Flaneure fehlen. Die brauchen einen Fluss, mit Uferweg, Promenade, Paris, Quai d‘Orsay oder Lungarno. Für Flaneure essentiell. Sie können stehen und schauen, auch sitzen, und immer geschieht etwas. Es strömt. Endlos. Kannsch eine Minute zuschauen. Oder eine Stunde. Wenn‘s denn in dir selber strömt, dann … kannsch weiter.  Und noch was: Der Durchschnittsflaneur will ja auch gesehen werden. Bei mir isch des nur ein Nebenthema, aber der Pariser Flaneur isch ja die Referenzgröße, klar. Oder der in Rom. Die wollen ja „bella figura“ mache. Des Dumme: Dazu brauchsch leider andere. Und hier an de Brigach stehst du allein. Kannsch mach, wa de witt: Niemand ist beeindruckt. Oder wenigstens neidisch. Elles verpufft.  Wenn dich mol ein Bekannter hier zufällig trifft, fragt er: „Na Manfred, gohts e wengle zum Einkaufe?!“ Keinerlei Sinn für den Stadtflaneur. Nur der mehr melancholische Flaneur kommt hier auf seine Kosten. Der isch aber eine Minderheit. 

Gut gemeint vo dene Gartenschauplaner sind die große Steinblöck. Sollen zum Verweilen am Ufer einlade, wie man so sagt. Nur: Es strömt grad hier recht schwach, eigentlich kaum. Gegenüber ein Gebüsch, grün, wie es sein soll, Begleitgrün, passt sich unauffällig ins Bild.  

Hoppla. Da sitzt tatsächlich einer, ein Junger. Guckt um sich, sucht was. Jetzt sieht er eine Ente. Jetzt guckt er in de Fluss. Schaut schon wieder weg. Volles Verständnis: Action isch nur sparsam erkennbar. Und er isch kein Flaneur. Meditation macht er auch nicht.  Vielleicht Nachwuchsflaneur.

Ah, da vorne kommt die große Wiese, Tonhallengelände. Wenn de Fluss schon nervenschonend isch, die Wiese toppt des noch. Still ruht die Wies, und des seit Jahrzehnten. Kommsch daher, bisch sicher, dass dich keine Überraschungen erwarte. Nachher isch wie vorher. Es gibt einfach in der oft überwältigenden Flucht der Ereignisse und Eindrücke auch Fixpunkte, an die du dich klammern kannsch, wenn es dir zu viel wird. So einer isch des hier.  Des isch für mich ein ganz besondere Ort. Ein Ort der Leere und Stille. Man klagt ja über überfüllte Innenstädt, Lärm und Hektik. Hier isch das Gegenprinzip verwirklicht. Du stehst da und kannsch deinen Blick schweifen lassen, endlos. Links Grasbüschel, auch rechts, hinten desgleichen, die zeitlosen Wellen einer Prärie. Leise streicht der Wind über die Schollen, und des mitten im Städtle.  

Philosophisch gesehe isch des die Verwirklichung des idealen Vakuums, materiell und geistig. Ein Hohlraum, mit nix drin, keine schnöde Rabatte, kein Trafohäusle, an ein Gebäude gar nicht zu denke. Wenn du dir Zeit nimmsch und genau hingucksch: Auch leer von Ideen. Einfach umfassend rein und jungfräulich.
Dieses Villinger Vakuum widerlegt auch die These, dass jedes Vakuum instabil isch und irgendwie gefüllt werden will. Dieses Vakuum hat seine Stabilität längst bewiese. Es ruht in sich. Eigentlich beneidenswert. Kann ruhig so bleibe. 

 



Laible und die Vielfalt


Jetzt heißt‘s ja oft „Vielfalt“, „bunte Stadt“, da, dings, Diversity. Stimmt schon. Vielleicht. Smarties sind halt besser als Schoklad. Oder net?  Klar, früher, Lindor, als Kind, des hat geschmeckt. Da steigen Erinnerungen auf … HALT! Ich sag mir: Manfred, VIELFALT! Dran denken! Knoten ins Taschentuch! Sonst droht eben die, die da, die EINfalt, das Braune da. Schokolade.

„Unsere Stadt ist bunt, nicht braun.“ Alle sagen des, der Pfarrer, der Lehrer, in der Zeitung, im Fernsehen, überall: Vielfalt! Nichts kann einem dann mehr zu bunt werden.

Alle habe des erkannt, wie ein Mann: Vielfalt! Das isch wie eine heimliche Verschwörung ... für des Gute auf der Welt. Keiner geht durch die Lappen, da passt man auf, aufeinander, man hilft sich eben. Alle, Christen, Buddhisten, und die … Salafisten: Vielfalt!  Mir müssen uns innerlich umstellen. Du sollst das, was du mögen sollst, auch innerlich mögen wollen. So einfach ist das. Bald kannst du das, was du mögen sollst, auch ganz … auswendig.  Gestern beim Backshop. Backshop. Mein lieber Schwan. Der Metzger daneben heißt bald Beef&Pork Lounge und die Frühstückerei BreakShop. Brechladen (grinst). Da drüben die Johanneskirch, die wär dann eine Jesus-Mall oder ein Pray-In mit Worship-to-go. Da sind solche Namen wie Haarparadies, Haarschopf, Blütenzauber, oder Röschzeit eine wahre Erholung.  Ein Schild am Backshop: Feel-Good-Momente an 345 Standorten in fünf Ländern. Oha. Fühl-Gut-Momente. 345 mal. Das muss Diversity sein.  

Manchmal könntsch du verzweifle: Du denksch nicht nach, willsch einen hundsgewöhnlichen Kaffee, und sagsch „Kaffee“ - guck, schon wieder rückfällig, die bieten extra Vielfalt und du willsch allweil dasselbe.  Die Bedienung guckt dich an, wie wenn du einen Metoo-Spruch rausgehauen hättsch. Die hat alles, den Latte, den Makarena, den Kaffee Togo, den Dings, den … den Arabika Schischa, oder … halt Vielfalt, gell.  

Die andere Bedienung kennt mich schon, und stellt einen ganz gewöhnlichen Kaffee hin, den‘s gar net auf der Karte gibt, des dürfte sie gar net … (grinst) Manchmol darfsch du schon noch ein wenig tricksen (grinst).  

Früher, da war sogar der Kaffee noch braun. Wenn ich das schon hör, braun, des kannst du nicht mehr bringe, so blöd rausschwätzen kannsch du nicht mehr. Du hast doch Zivilisation. „Dunkelocker“, des ging … oder „mahagoni“. Oder „melange“ darfst du noch sagen. Das ist halt Vielfalt.



Laible auf dem Friedhof


Isch ja meine Arbeitsstätte. Würd eigentlich reiche. Aber ich bin anefersich auch außerdienstlich gern ufm Friedhof. Ganz entspannt. Keiner kennt mich.  Versteht nicht jeder. Hat der Stadttourismus noch nicht entdeckt. Eine ruhige Ecke im Städtle. Geradezu totenstill (lächelt). Wenn nur de Verkehr uf dere Bundestroß nicht wär.  
Ich komm her, wenn ich mal gnug hab von de Fußgängerzone. Mol keine „Sale“-Plakate, keine Spendeabgreifer vom Tierschutz am Latschari mit ihrem gnadenlosen Charme, keine Nail-Studios und Shops. Nur Bäume, Blume, Bänkle. Sitz ich gern mol e halbe Stund.  Klar, die Tote sind au do, muss jo sein. Die sin da zu Hause, wenn man das so sage will. Eine ganze Stadt der Toten, Nekropole.  
Ein Kindergrab. „Suche die Kammertür, suche mein Bettlein mir, Brüderlein, es wird fein, unterm Rasen sein.“ Hab ich mal im Chor gsunge. 

Ist schon rührend, manchmal, wie die Gräber gschmückt werden. „We will never forget you“, 2010, und des Unkraut wächst über die Betonengel und die rostige Buchstabe.  Ja, manche wohne ja hier besser, gehoben. Do hinte, des isch ja kein Grab, des isch ein Tempel, wie im Kurgebiet.  

Und do drübe, mein lieber Schieber, des war mein teuerster Toter. Eine Marmorwand, wie Carrara, mit Jesus und gfaltete Dürerhänd. Vielleicht staunt do der unterm Stein selber über sein XXL-Heiligeschein.  Die Toten mahnen, sagt man ja. Stimmt schon. Es wird wirklich Zeit, dass meine Frau und ich uns mol entscheiden: Erdgrab in Reihe, Urnegrab, Partneranlage mit Stele. Oder ganz einfach Urnewand. Do kriegsch bloß e Schließfach in dere Wand, wie ufm Bahnhof. Nur ohne Umsteige und Weiterreise. Endstation. Des isch nicht Kurgebiet, des isch Plattenbau. Oder des neue, des Baumgrab. Blumeablege technisch unmöglich. Keiner weiß, wo du genau bisch, e saubere Sach. Oder Seebestattungen oder des Verstreue von der Asche irgendwo. Des wär mir peinlich, wenn ich extra nach Helgoland müsst und dort uf de Doggerbank hin und herroll. Des isch eh nicht mehr lang tragbar, saubere Meere, Feinstaubbelastung. Da haben die Schüler von de Greta ein wachsames Auge drauf. Da sin die gnadenlos. Und keiner weiß, ob Vergraben oder Verbrennen die bessere CO2-Bilanz hat. 

Jetzt mal rechts abbiege. Do liegt de Thomas Bammehofer. Die Beschte sterben als erste. War mein Jahrgang. Und ich lauf hier rum. Unheimlich. „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod.“ Ach so, ich soll ja noch Aufschnitt bei de Metzg hole, darf ich net vergesse.  

Da kommt eine Trauergemeinde daher von de Altstadtkirch. Ich seh des gern. Aus der Entfernung. Ich geb zu, ich freu mich, dass ich es nicht bin. Ganz egoistisch. Aber so ist der Mensch. Jedenfalls ich. Ich hör auch gern die Worte vom Pfarrer am Grab. Man isch immer neugierig, wie die Konkurrenz sich macht. Aus de Entfernung. Du verstehsch es nicht, aber der Ton ist angenehm. Man hört es gern, wenn man es nicht versteht. So genau will ich es nicht wisse.  
Einmal isch der Zug an mir vorbeikomme. Fast zu nah. Der Vikar hat unter seinem Priesterrock so bunte Nike-Schuhe angehabt, ich hab als nur uf die Wahnsinnsschuh gucke müsse. Meine Herrn … Ohne Priesterrock könnt der sich des nicht erlaube. 
Einmal im Jahr mach ich den Stresstest. Ich such mir an de Anschlagtafel eine Bestattung von einem, den ich nicht kenn. Dann komm ich früh und setz mich in die erste Reihe. Und jetz der Stress: Ich mach die Auge zu und stell mir intensiv vor, wie ich da im Sarg lieg. Wie einer drauße was sagt, dann des Largo, dann sagt noch einer was, dann läutet des Glöckle, zum Grab, die Erdbrocke kollere. Dann entferne sich die Stimme. Ich bin allein. Elles überstande, nicht zammebroche, alles angenomme, in Würde.  Des gibt mir eine gewisse Kraft. Für des nächste Jahr. 
So, für heut reichts hier. Jetzt in die Metzg.



Laible am Fenster


So, s‘Kisse ufs Fensterbrett, und einfach wengle runtergucke. Keine Luscht heut zum Spaziere. Man muss ja wisse, was sich im Städtle so tut. Und mei Frau isch bei de Alte Jungfere. Sonsch tät sie glei sage: Was laalsch denn allweil zum Fenschter naus?  

Dabei isch do unne immer was los. Immer Bewegung. Elles fließt, panta rei, wie die Philosophe sage. Zwische Rietgass, Färber und Niedere. Und es koscht nix. Keine Mehrwert-, keine CO2-Steuer. Schnaufe isch noch kostenlos. Un die Bilder, die du unte siehst, sind GEMA-frei. Und ohne Photoshop.  
Sogar denke kannsch da. Kein Akku- und kein Datenverbrauch. Auch sinniere, grüble, träume, ganz offline. Also auch ohne des Netzwerkdurchsetzungsgesetz, wenn du zu wild grübelsch.  Und wenn doch emol einer kommt, den man Schoofseckel oder Henneschnättere nennen könnte, was nicht mein Stil ist, und die könntet am End stehebleibe, dann beobachte ich vorübergehend ganz intensiv die Wolke über de Münschtertürm. Da isch de vierte Stock ganz praktisch.  
Ja, die Wolke, die muss man ja auch mal wahrnehme. Elles bloß Wasser. Wenn de denksch, dass die Brigach do oben davonzieht, de Mönchsee, am End gar de Bodesee …. und wieder panta rei. Oder, wie heißt des, Maja, sage die Inder. Und irgendwann guckt do en andere aus dem Fenster raus. Und die Wolke sin immer noch da.  
Uwe Bossert, natürlich barfuß, mit einer gäckelegääle Leggings. Ein Enfant Terrible. Stadt-Terrible. Zum Glück hat er da eine Frau bei sich. Erklärt wahrscheints, wie gsund des Barfußlaufe isch. Bis driberdusse.  Jetzt die zwei merkwürdige Männer, um die 50, uf Fahrräder, immer mit Plastiktüte und Beutel beladen. Entweder der eine haut vor dem zweite ab oder der zweite ist beleidigt und lässt sich zurückfalle. Oder andersrum. 
Mein lieber Schwan, jetzt kommt der erste Paketversand, DHL. Des nenn ich Schadfahrt. Fürs Klima. Später Hermes, DPD und die mit dem goldene Wappe. Klar, Wage stehelasse, Straße versperre. Des nimmt ja überhand. Kann ich gar nicht brauche. Fährt scho wieder ab, immer in Eile. Schade, nix für uns dabei. 
Oha, de Schupp, de Waldemar. Alter Schwede. Der isch ja bei bei Firma Laumann bliebe, wo ich nach meiner Zeit beim Landratsamt gschafft hab. Sieht nicht gut aus. Magegschwüre. Kein Wunder bei Laumann. Meine beste Idee ever, dort zu gehe und als Trauerredner zu arbeite. Ballast abwerfe gibt de beste Auftrieb. Jetzt mit über 60 könnt ich aufhöre, aber es lässt mich als Hobby nicht los. Zwei, drei Bestattungen in der Woche brauch ich.  
Ist schon seltsam. Jetzt guck ich erst zwei Stund, und der Restle läuft schon dreimal vorbei. Hat der nix zum tue? Leut gibt‘s …



Laible auf dem Platz bei der Volksbank


„Alles ist zu ertragen, nur nicht eine Reihe von glücklichen Tagen.“ Goethe, wahrscheinds. Vorgestern war super, gestern auch noch im grünen Bereich, jetzt droht der Kipp-Punkt.

Da hab ich ein Gegenmittel. Wenn‘s mir zu gut geht: Raus aus dem Riettor und nüber über de Ring. Da liegt er vor mir: der Platz der Volksbank. Von Designern entworfen, hoch gelobt.

Aber ehrlich: Der Platz hat Chance beim Wettbewerb um den hässlichsten Platz der Galaxis. Ich bin gerettet. Der Tag kann nicht mehr glücklich werden. Allerdings: Ein flüchtiger Gang quer über des graue Gelände zur Apotheke reicht nicht. Erst nach einer halben Stunde kommt die Wirkung. Dann aber todsicher. Eine Spielart der Agoraphobie. Schon Dante hat gsagt: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst fahren alle Hoffnung.“ Er meinte die Hölle, aber er kannte den Platz nicht.

Halbe Stunde, mich friert. Aber es muss sein. Also hinsitzen auf eine von dene Bänk da.  Ganz komisches Gefühl, wenn du da sitzsch. Mein lieber Herr Gesangsverein. Allein. Nie sitzt hier einer. Schon gar nicht eine. Platz für 20 Leute. Da kannst du mal links sitzen, dann eher Mitte rechts, auch liegen, ausstrecken. Alles geht hier. Jeder, der vorbeigeht, ist froh, dass er nicht da sitzen muss. Ich opfere mich sozusagen. Wenn mal der Planer von dem Platz vorbeigeht, kann er sich freuen: Am 3. September saß ein Mann auf Bankmodul 3.

Ganz allein bist du nicht. Da stehen noch Lampenmasten. Einige, schon fast etliche. Aber unauffällig. Halten sich gerade, wie man es kennt. Ohne weitere Ausdruck. Auch Abfallbehälter versuchen den Platz zu beleben. Eher im Hintergrund. Wollen den Gesamteindruck nicht stören.

Dann vor dir ein Brunnen. Man nennt das jedenfalls so. Das muss man wissen. Von selber kommst du nicht drauf. Eine flache Betonschale. Nein, Schale ist geschmeichelt. Eine Scheibe. So wie man sich mal die Welt vorgestellt hat, im Mittelalter. Nur ohne Gott, der die Scheibe damals gehalten hat. Den gibt‘s hier nicht, klar. Oder er war hier, hat den Platz gesehen und ist wieder abgereist. Kein Wunder, der Platz hat nix, was dich halten würde. Eher musst du Fluchtreflexe unterdrücke. Die Schieberdinger-Watterdinger würden sagen: „Allmachts Jenseits Goddes Dobbelwegga“. Wo sie recht haben, haben sie recht.  

Manchmal kommt Wasser aus der Scheibe, auch wieder unauffällig, nur wenig, sparsam, bescheiden. „Wasser quillt“ wär übertrieben, „Fontäne“ wäre eine Halluzination, da bräuchte es drei Gutedel beim Riegger, bis man die sieht.  

Oben auf der Scheibe des Ding. Des thront über dem ganze Platz. Glasscheiben nebeneinander. Immerhin beschäftigt des den Bänklehocker. Was soll das sein? Lamelle vom Kühler? Bienenwaben? Oder die reine Geometrie, multifuntional oder nonfunktional oder postfunktional? Die Welt ist ein Geheimnis.

Am Tag liegt das Ding einfach da. Nachts wird‘s spannend. Meistens liegt es da immer noch einfach so da. Wesentlich mehr Stoff für die Fantasie als am Tag, dunkel, noch rätselhafter. Man wartet auf was. Fast immer ohne Grund. Manchmal geht ein Licht an. Des Ding leuchtet. Wenn, dann aber intensiv. Quietschbunt wie ein Malzer. Weniger als kitschig zu sagen wär gelogen. Noch seltener der Höhepunkt: Es wechselt die Farbe. Wie eine Reklame-Neonröhre am Times Square. Aber ohne Times Square. Alles ganz geräuschlos. Kein Schritt zu hören. Die Minuten schleichen. Nur der Malzer und die Unendlichkeit. Und dann: eine andere Farbe. Wie ein Chamäleon. Das Rätsel bleibt.  

Wozu der Platz? Jedenfalls hält er die Kunde nicht auf, die zur Voba wolle. Die treibt er beschleunigt vor sich her Richtung Eingang. Der ist hinten. Nicht vorne. Da muss man umdenken, mitdenken. Wer kommt schon ohne Auto?

Man soll aber nicht nur kritisieren. Der Platz hat seine Verdienste. Grad für Sinnierer. Nix lenkt ab vom Schweifen der Gedanke. Keine Brunnenfigur, keine Statue, kein Busch, kein Baum. Du wirst auf dich selbst zurückgeworfen. Existentiell.

Wenn ich da so sitz und den Platz auf mich wirken lass: Wär ein idealer Ort für eine Aufführung von  Becketts „Warten auf Godot“. Man wartet auf den Platz. Oder auf Erlösung. Aber Godot kommt nicht.  

So, halbe Stunde um. Die Stimmung ist hin. Erlös ich mich halt. Jetzt eine Butterbrezel beim Rietbeck, als Belohnung.